Kann Urlaub verjähren?

Am 29.09.2020 hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) eine weitere wichtige Entscheidung zum Urlaubsrecht getroffen. In einem Revisionsverfahren vor dem 9. Senat geht es – kurz gesagt – um die Frage, ob Urlaubsansprüche verjähren. Das BAG hat das Verfahren ausgesetzt und ein Vorabentscheidungsersuchen an den Europäischen Gerichtshof gerichtet. Der EuGH soll klären, ob es mit Europarecht vereinbar ist, dass Ansprüche auf Entschädigung für nicht genommenen Urlaub nach drei Jahren verjähren. Wenn der EuGH diese Frage entscheidet, wird dies richtungsweisende Bedeutung dafür haben, ob Arbeitnehmer nicht genommenen Urlaub für bereits viele Jahre zurückliegende Zeiträume noch nehmen oder bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses abgelten lassen können.

Hintergrund

In § 7 Abs. 3 Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) ist geregelt, dass Urlaubsansprüche grundsätzlich am 31. Dezember eines Jahres erlöschen, wenn sie bis dahin nicht genommen werden oder wenn kein Anspruch auf Übertragung in einen späteren Zeitraum besteht. Bereits mit einem Urteil vom 19.02.2019 hatte das BAG entschieden, dass bei unionsrechtskonformer Auslegung von § 7 Abs. 3 BUrlG der Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub nur dann erlischt, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer konkret aufgefordert hat, seinen Urlaub rechtzeitig im Urlaubsjahr zu nehmen und ihn außerdem darauf hingewiesen hat, dass der Urlaub andernfalls verfallen kann. Unterbleibt ein solcher Hinweis, behält der Arbeitnehmer seinen Urlaubsanspruch. Wie ein solcher Hinweis konkret aussehen muss, ist umstritten. Ebenfalls ist unklar, ob die Urlaubsansprüche bei einem nicht oder nicht richtig erfolgten Hinweis zeitlich unbegrenzt bestehen bleiben, oder ob sie verjähren können. Denn nach § 195 BGB verjähren alle Ansprüche in einer Regelfrist von drei Jahren, die am Ende des Jahres beginnt, in welchem der Anspruch entstanden ist. Die Frage ist nun, ob diese Verjährung auch für die bestehenbleibenden Urlaubsansprüche gilt.

Der Fall

Diese Frage stellte sich auch in dem Fall, der dem BAG vorlag: Die Arbeitnehmerin hatte in der Zeit vom 01.11.1996 bis zum 31.07.2017 bei dem Beklagten als Steuerfachangestellte und Bilanzbuchhalterin gearbeitet. Sie hatte laut Arbeitsvertrag Anspruch auf 24 Arbeitstage Erholungsurlaub. Mit Schreiben vom 01.03.2012 bescheinigte der Arbeitgeber, dass der „Resturlaubsanspruch von 76 Tagen aus dem Kalenderjahr 2011 sowie den Vorjahren“ am 31.03.2012 nicht verfalle, weil die Arbeitnehmerin ihren Urlaub wegen des hohen Arbeitsaufwandes in der Kanzlei nicht habe antreten können. In den Jahren 2012 bis 2017 erhielt die Arbeitnehmerin insgesamt 95 Arbeitstage Urlaub. Eine Aufforderung des Arbeitgebers, den restlichen Urlaub zu nehmen und einen Hinweis auf den möglichen Verfall von Urlaubsansprüchen gab es nicht. Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses erhob sie dann Klage und verlangte die Abgeltung von 101 Urlaubstagen aus dem Jahr 2017 und den Vorjahren. Der Arbeitgeber berief sich auf Verjährung und machte geltend, dass für die Urlaubsansprüche die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren schon vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses abgelaufen sei. Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf ist der Auffassung des Arbeitgebers nicht gefolgt und hat ihn zur Abgeltung von 76 Urlaubstagen aus den Jahren 2013 bis 2016 verurteilt.

Die Entscheidung

Für den Neunten Senat des Bundesarbeitsgerichts kommt es nun darauf an, ob die nicht erfüllten Urlaubsansprüche der Klägerin aus dem Jahr 2014 und den Vorjahren bei Klageerhebung bereits verjährt waren. Bereits klar ist, dass sie nicht gemäß § 7 Abs. 3 BUrlG verfallen sind, weil der dafür erforderliche Hinweis des Arbeitgebers fehlt. Der EuGH muss nun entscheiden, ob es mit Art. 7 der Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG und Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union im Einklang steht, wenn der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub, der aufgrund unterlassener Mitwirkung des Arbeitgebers nicht bereits nach § 7 Abs. 3 BUrlG verfallen konnte, gemäß § 194 Abs. 1, § 195 BGB der Verjährung unterliegt.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 29. September 2020 – 9 AZR 266/20 (A)

Quelle: Pressemitteilung des Bundesarbeitsgerichts Nr. 34/20 vom 29.02.2020

Kategorie: Arbeitsrecht